Was tun Menschen am liebsten mit mir, der Psychologin? Na, sprechen! Sie beleuchten ihr Denken. Sie hinterfragen ihr Fühlen. Sie analysieren ihre Mitmenschen. Sie planen Strategien und Aktivitäten. Das ist einerseits gut. Andererseits ist es richtig Arbeit! Daher rate ich inzwischen oft: Lass mal den Körper vorgehen! Denn der Körper kennt oft intuitiv stimmige Lösungswege – mit deutlich weniger Arbeit.
Der Körper nimmt Einfluss, ob wir wollen oder nicht
Sind Sie jetzt skeptisch? Dann freuen Sie sich auf Ergebnisse der Gehirnforschung: Bevor wir eine vernünftige Entscheidung treffen, ist das Wesentliche längst passiert. Sekundenbruchteile vor Ihrer wohlüberlegten Strategie hat Ihr limbisches System schon emotional entschieden. Denn Sie haben frühere ähnliche Ereignisse mit positiven bzw. negativen Emotionen abgespeichert – nicht nur im Gehirn, sondern tatsächlich „verkörperlicht“! Sie kennen das: Bei der Gesprächsvorbereitung ist Ihnen ganz flau. Oder aber Ihr Geistesblitz lässt Sie breit grinsen. Das sind sogenannte somatische Marker. Denn Ihr Körper – wohl instruiert vom ventromedialen präfrontalen Cortex – weiß, was Sie wollen, bevor Sie es durchdacht haben.
Auch die Embodiment-Forschung ernüchtert den rationalen Denker: Schon 1980 baten Wells & Petty drei Gruppen den Tragekomfort von Kopfhörern zu testen. Dabei sollten die Experimentalgruppen ihren Kopf bewegen: Die eine Gruppe hoch und runter, die andere von links nach rechts – in unserem Kulturkreis zustimmendes Nicken bzw. negierendes Kopfschütteln. Die Kontrollgruppe hielt den Kopf still. Alle hörten eine Sendung über Studiengebühren. Die wirkliche Forschungsfrage war: Wie denken die Gruppen anschließend über die Studiengebühren? Das Ergebnis: Die Kontrollgruppe wollte bei den aktuellen Gebühren bleiben, die Kopfschüttler waren für das Senken der Gebühren und die Kopfnicker waren bereit, eine ordentliche Erhöhung mitzutragen. Der Mensch denkt, der Körper lenkt – und macht unbewusst die Entscheidungsarbeit.
Denkende sind immer auch Körperwesen
Haben Sie schonmal zu jemandem mit Diabetes gesagt „Das ist nur in deinem Kopf. Denk positiv, dann wird das schon!“? Wahrscheinlich nicht. Menschen mit psychischen Herausforderungen hören so etwas öfter. Dabei kann auch eine Veränderung der Neurotransmitter zu negativem Empfinden und Erleben führen. Gerade depressive Verstimmungen gehen einher mit einem Serotoninmangel im Gehirn. Gut zu wissen, dass der Körper Serotonin aus Tryptophan bildet – besonders bei bestimmten Aktivitäten. Auch wenn sich eine klinische Depression von einer depressiven Verstimmung unterscheidet: Mit diesem Wissen werden beeinträchtige Menschen aktiv – entweder um der Sache beim Arzt auf den Grund zu gehen oder indem sie mehr von dem tun, was ihnen guttut: Sonnenlicht, Natur, Bewegung, Menschen treffen, meditieren.
Meditieren ist die Übung, die Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen, die wie eine Affenherde durch den Kopf sausen. Das hat den Begriff „monkey mind“ geprägt. Dr. Karolien Notebaert zeigt auf, dass es tatsächlich der Körper ist, der den Affenkopf zur Ruhe bringt. Denn die wirksamsten Meditations- oder Achtsamkeitspraktiken fokussieren auf sensorische Reize: Was sehe ich? Welches ist das entfernteste, welches das nächste Geräusch? Welche Temperatur hat mein Einatmen, mein Ausatmen? Wie spüre ich meine Füße auf dem Boden? Wonach riecht es im Café? Was genau schmecke ich? Die beruhigende Wirkung auf den unruhigen Geist hat einen Grund: Das „Direct Experience Network“ wird aktiviert, und die Amygdala, zuständig für emotionale Reaktionen, kann nicht gleichzeitig aktiv bleiben.
Viel Denken hilft nicht viel, im Gegenteil
Sie kennen den Begriff „Kopfkino“? Wenn Sie weitgehend in Freiheit, Sicherheit und Unversehrtheit leben, dann ist Ihr Kopfkino nahezu immer schlimmer, als die reale Situation. Warum? In unserem Gehirn sind einige der gleichen Areale aktiv, ob wir nun an etwas denken oder es derweilen tun. Wenn Sie an das Gespräch denken, vor dem Sie sich fürchten, fürchtet sich Ihr Körper gleich mit. Und wenn Sie richtig oft und lange über dieses Gespräch nachdenken, dann spult ihr Körper oft und lange das dazugehörige Programm ab: er schüttet Adrenalin und Noradrenalin aus, lässt den Blutdruck steigen, beschleunigt den Puls, verflacht die Atmung und so weiter. Denn der Körper weiß: Es geht um Kampf oder Flucht! Leider sitzt sich der dazugehörige Mensch, geflutet von „Und jetzt Action“-Körperlichkeit, meist auf dem Bürostuhl den Hintern breit – während in ihm wild die Botenstoffe funken.
Ganz anders, wenn dieser Mensch den Körper vorgehen lässt. Zum einen kommt alles Bereitgestellte zur Verwendung. Zum anderen wird beim körperlichen Erleben zusätzlich das „Durchlebthaben“ gespeichert. Ich weiß wovon ich rede: Mein Mutter-Söhne Ausflug ins Legoland vor vielen Jahren startete sofort im „Power Builder“. Stufe 5 wählten die Söhne, Stufe 5 wählte die Mutter. Mit der anschließenden „5 Minuten-kopfüber-gerührt-und-geschüttelt“-Erfahrung ist auch dieses Erleben gespeichert: Ich habe es geschafft! Zwar habe ich diesen „erst machen, dann denken-Weg“ in der Literatur nicht gefunden, dennoch nutze ich ihn für alle Aufgaben, die vor mir schon 1000 Menschen überlebt haben. Als gehirnschlaue Variante aus Experimenten mit einer Versuchsgruppe größer N = 1 gilt: Die eigenen Gefühle vorher oder auch nachher benennen, am besten mit einer inneren Distanzierung nach Jessica Wilker „Da ist Angst“. Das nimmt der Angstspeicherung die Macht.
Sogar das Positive Denken lässt sich übertreffen
Aber hilft nicht Positives Denken? Ja, das hilft. Und ja, es wirkt. Menschen im Leistungssport, die auf den Punkt ihre Leistung abrufen können, egal was um sie herum geschieht, nutzen gezielt und routiniert ein positives Kopfkino. Sie denken an den „magic moment“, ihren größten Erfolg, ihr bestes Spiel. Denn mit dem sogenannten „as-if body loop“ „konstruiert“ das Gehirn körperliche Veränderungen und löst Reaktion aus. Auf diese Art lässt sich auch der Körper regulieren. Doch das will geübt sein. Charles Duhigg schreibt über das mentale Training des Weltklasseschwimmers Michael Phelps. „Leg das Video ein“ war die Aufforderung für die mentale Visualisierung. Und selbst diese wirkte mittels Kopplung an relevante Sinnesreize: Was sehe, höre, spüre, mache ich im „magic moment“?
Einfacher, sofort und ohne Übungseinheiten funktioniert der „body loop“. Was nach Turnübung klingt, kennen wir als das gute alte „Kopf hoch!“ der Großmütter. Denn zur Selbstregulation lässt sich ein einfaches Phänomen nutzen: Veränderungen unserer Physiologie (Haltung, Bewegung, Mimik), die im Laufe unserer Entwicklung mit einer Emotion verknüpft wurden, werden direkt in einer Reaktion verarbeitet. Einfacher gesagt: Wer sich aufrichtet („Kopf hoch!“) kann nicht so niedergeschlagen sein. Wer geht, kann nicht weiter stagnieren. Wer lächelt, kann nicht weiter so frustriert bleiben. Denn diese Körperhaltungen sind evolutionär gespeichert mit Zuversicht, Aktivität, Freude. Afferentes Feedback nennt man es, wenn die Muskeln und Nerven an das Gehirn zurückmelden „Sie geht aufrecht, sie lächelt. Alles in Ordnung. Kein Grund zur Sorge im Oberstübchen!“ Wendy Palmer weiß, dass dabei Testosteron und Oxytocin ausgeschüttelt werden – Hormone für Aktivität und Bindung: Sich vertreten und gut mit anderen in Verbindung sein, wenn das nicht gut ist!
Lassen Sie Ihren Körper vorgehen
Nachdem Sie nun wissen, dass Ihr Körper sowieso mitmischt, lassen Sie ihn doch für sich arbeiten!
1. Nutzen Sie Ihre somatischen Marker bei einer anstehenden Entscheidung ganz konkret: Wie fühlt es sich an? Wo genau fühlt sich das im Körper? Das ist vielleicht nicht für jeden sofort erspürbar, Es lohnt sich dranzubleiben. Übung macht den Körpermeister!
2. Probieren Sie den bewussten Wechsel: Starten Sie mit einer Körperhaltung, die Sie stimmig zu einem wenig tollen Erlebnis empfinden. Spüren Sie die somatischen Marker und notieren Sie sich Ihre Gedanken. Verändern Sie dann die Haltung hin zu einer positiven: Aufrechte Wirbelsäule, Füße auf dem Boden verankert, ein Lächeln in den Augen. Spüren Sie auch hier die somatischen Marker und sprechen Sie Ihre Gedanken aus. Bemerken Sie, was sich verändert hat.
3. Bringen Sie vor einem wichtigen Termin Ihren Körper in eine positive Körperhaltung. Nutzen Sie raumgreifende Aufwärtsbewegungen für Aktivierung oder Abwärtsbewegungen für Beruhigung.
Ich bin neugierig auf Ihre Erfahrungen! Lassen Sie uns gern gemeinsam ausloten, was für Sie alles möglich ist! Melden Sie sich gern hier, lassen Sie doch den Körper zum Telefon greifen 🙂
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