Bleiben und Lassen sind gern übersehene Handlungen. Zum ersten Mal wurde mir das bewusst bei der Arbeit mit dem Sk!ills© Kartenset von Imke Lohmann.

Denn dem Kartenset, das zur Reflexion erforderlicher Handlungen für berufliche Rollen einlädt, fehlte offenbar etwas. Und so reichte Frau Lohmann die Handlungen Bleiben und Lassen nach. Sie waren in der Praxis offenbar für manche Rollen relevant.

Man kann nicht nichts tun

Paul Watzlawick hat uns allen beigebracht, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Gilt das nicht auch für das Tun? Tut man nicht immer etwas, auch wenn man etwas lässt? Das sagen zumindest Juristen, denn sie verstehen Unterlassen als eine Art Handlung. Und so können sogar Experten für Strafrecht das Tun vom Unterlassen nicht klar abgrenzen. Sie behelfen sich mit der Idee des „kausalen Energieeinsatzes“: Tun  ist das Aufwenden von Energie in eine bestimmte Richtung. Und unterlassen besteht im Nichtaufwenden von Energie. Ich unterschreibe dies für den außen sichtbaren Energieeinsatz, denn „drinnen“ kann das Lassen ganz schön anstrengend sein!

Viele triggert das sichtbare Energiesparen. So geht die „faule Socke“ flott über die Lippen oder zumindest durch den Kopf. Denn für Erfolg muss etwas getan werden! Ohne Fleiß kein Preis! Wer rastet der rostet! Die psychologische Forschung kennt das als „Aktivitätsbias“. Dieser besagt, dass wir Personen positiver sehen, die aktiv etwas tun. Nicht nur Torhüter springen beim Elfmeter besser nach links oder rechts. Wer (stehen) bleibt, verliert – im Auge des Betrachters. Zu Unrecht, wie Steven D. Levitt vor Jahren herausfand: Bei 459 Elfmetern der ersten französischen und italienischen Liga lag mit 81 Prozent die höchste Trefferquote in der Mitte. Wer heute Torhüter ausbildet, lehrt wahrscheinlich auch das Bleiben und das Lassen.

Beim Tun und Lassen treffen sich unsere Saboteure

Bleiben und Lassen gelten als Vermeidungsstrategien. Wer das Positive Intelligence Programm kennt, denkt sofort an den „Vermeider“-Saboteur. Dieser suggeriert, einen angenehmen Zustand um alles in der Welt beizubehalten. Aber auch zwei weitere Saboteure nutzen einen vermeidenden Stil. Sie tarnen sich nur anders: Wer einen „Hyper-Rational“ Saboteur hat, setzt allein auf Logik. Dabei unterlässt er es, emotionale Aspekte einzubeziehen. Und weil der brillanteste Kopf im Raum am liebsten denkt, lässt er gleich noch das Tun. Auch der „Victim“-Saboteur lässt wesentliches: Wer sich als Opfer sieht, unterlässt es Selbstverantwortung zu übernehmen – und lässt seine ganze Vitalität inmitten nobler Traurigkeit.

Wer jetzt denkt, „Glück gehabt, diese Saboteure sind nicht meine“, hat vermutlich welche, die auf andere Strategien setzen: Durchsetzen oder Verdienen. Durchsetzen erleben wir beim Antreiben des Controllers, im Erfolgsdruck des Hyper-Achievers und in der Ungeduld des Rastlosen. Alle drei können mit dem (Unter-)Lassen anderer nicht gut umgehen. Auch die drei Saboteure mit der Strategie Verdienen können andere nicht gut lassen: Der „Perfektionist“ hat enge Vorstellungen, welcher Weg zu gehen ist (und nicht zu lassen). Der „Pleaser“-Saboteur kann andere nicht lassen, auf dass sie sich selbst helfen. Und der „Hyper-Vigilant“, der ständig überängstlich Ausschau nach Gefahren hält, kann nicht damit umgehen, dass andere auch mal lockerlassen.

Bleiben. Lassen. Bleiben lassen.

Die inneren Saboteure übernehmen gern das Steuerrad, wenn es stressig wird. Unter ihrer Steuerung setzen wir alte unbewusste Muster ein. Deshalb sind wir uns ohne jede Prüfung sicher, richtig zu liegen. Es ist das schnelle Denken, das uns in die Enge führt und reflexartig Urteile bilden lässt. Und so haben wir Probleme mit dem Bleiben des einen, dem Lassen des anderen und dem Bleibenlassen des dritten. Was tun? Es braucht eine bewusste Entscheidung, um im bekannten Verhalten und Erleben neue Perspektiven zu finden. Denn Bleiben und Lassen wie auch Bleibenlassen können bewusst als Verhaltenswahl eingesetzt werden.

Bleiben ist eine bewusste Alternative zum Gehen oder Aufgeben. Wer da bleibt, gibt anderen Raum und Reibungsfläche. Wer bei einem Thema bleibt, kann es breiter oder tiefer beleuchten. Lassen kann bedeuten 1. etwas belassen, wie es ist, 2. andere etwas tun lassen oder 3. andere so sein lassen, wie sie sind. Aka Prioritäten setzen, delegieren und sich die Energie sparen, andere ändern zu wollen. Bleibenlassen ist die hohe Kunst der Selbststeuerung. Es ist die Impulskontrolle kurz bevor wir tun, was wir unterlassen möchten. Sie kann aus der inneren Klarheit der eigenen Rolle folgen. Sie kann auf der Reflexion der eigenen Werte folgen. Und sie benötigt wiederholtes Training, um die Zeit zwischen Reiz und Reaktion auszudehnen.

Ohne zuviel kann man nichts weglassen

Der Künstler Michelangelo soll gesagt haben „Der David steckte von Anfang an in dem Marmorblock. Ich habe nur entfernt, was nicht dazugehörte.“ So stelle ich mir eine weitere Facette vom Bleiben und Lassen vor: Wenn wir alles lassen, was uns nicht im besten Sinne wesensgemäß ist, bleibt dann das, was uns im Kern ausmacht? Zeigen wir dann ganz mühelos, wer wir sind und was wir leicht und gerne in die Welt bringen? Manche nennen es den goldenen Kern oder den inneren Buddha. Bleiben hieße in diesem Sinne „sein was ich bin“. Und das Lassen wäre plötzlich keine Aufgabe mehr.

Ich stelle mir das sehr pur und auch sehr frei vor. Es ist die Idee vom „in die Welt bringen, was ich bin“. Die alten Griechen und Römer nannten dies den Genius: Das zentrale Lebensmotiv eines jeden Menschen, die Art und Weise, mit der jeder ein einzigartiges Geschenk für die Welt ist. Dieser Genius lässt sich als Essenz formulieren in einer einfachen Aussage oder eine Metapher, wie z.B. „Welten verbinden“, „Worte schenken“ oder eben wie bei mir „Türöffnerin für Klarheit“. Ist der Genius bekannt, wird das Tun stimmig und das Lassen fällt leicht: Wie bei Michelangelo – einfach entfernen, was nicht dazugehört.

Ein Ratgeber mit Namen „Die Lass-das-Methode“

Nun geht es ans Bleiben, Lassen und Bleibenlassen im eigenen Verantwortungsbereich. Vielleicht möchten Sie es lassen, ein drittes Mal nachzufragen, ob alle zufrieden sind? Vielleicht andere in der Verantwortung lassen, sich bei Bedarf zu äußern? Dazu könnten Sie einladen, indem Sie bleiben, z.B. im Online-Termin, bis ganz zum Schluss. Wer etwas bei Ihnen lassen möchte, wird sich darauf einlassen. Oder Sie folgen einer dieser Anregungen:

1. Legen Sie sich eine „Not-To-Do Liste“ an. Es darf zu Start auch eine „Heute-Not-To-Do-Liste“ sein.

2. Proben Sie das Bleibenlassen: Begegnen Sie Handlungsimpulsen mit dem Mantra „Ich mache mir bewusst, was zu tun ist und ich werde in 5 Minuten aktiv“.

3. Besprechen Sie mit Ihrem Team: Bei welchen Themen bleiben wir? Und zu welchem Termin werden wir entscheiden, diese Themen ggf. loszulassen?

Ich bin neugierig auf Ihre Erfahrungen mit dem Bleiben, dem Lassen und dem Bleibenlassen! Und wenn Sie sich nun fragen, was es mit diesen Saboteuren auf sich hat oder was Ihr Genius sein könnte, melden Sie sich gern hier für ein Gespräch.

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