Der Stolz ist für viele Menschen tatsächlich ein Gefühl mit zweifelhaftem Ruf. Dabei kommt er per Definition ganz unschuldig daher. Schließlich gilt er als „die Freude, die der Gewissheit entspringt, etwas Besonderes, Anerkennenswertes (…) geleistet zu haben“ (Danke, Wikipedia). Sollten Sie folglich eine positive Haltung zum Stolz entwickeln? Ich meine ja. Im Folgenden lesen Sie hierzu eine hoffentlich nützliche Blickergänzung.

Am Stolz reiben sich Kunst, Kultur und Kirche

„Was will uns der Künstler sagen?“ fragt das Känguru listig. „Na, was alle Künstler sagen wollen: guck mal was ich kann!“ (Danke, Marc-Uwe Kling!) Was in der Parodie witzig ist, ist im Alltag gemein: die Gewissheit, etwas Besonderes, Anerkennenswertes geleistet zu haben, scheint manchen fast unanständig. Da wird der Stolz in einem Atemzug genannt mit Hochmut und Selbstgefälligkeit. Für die katholische Kirche galt superbia sogar als eine der sieben Hauptsünden. Und Thomas von Aquin nannte den Stolz „eine Wurzelsünde, noch über den Hauptsünden“!

Wer stolz ist, ist sich seines eigenen Wertes bewusst

Heute zeichnet die Wissenschaft ein anderes Bild. Denn die Zufriedenheit mit dem eigenen Sein, dem eigenen Tun und den eigenen Wirkungen gilt als elementare, angeborene Emotion. So kommt es, dass Menschen aller Kulturen Stolz kennen und zeigen. Das ist kein Wunder. Denn Emotionen sind neurobiologisch automatisch ablaufende Handlungsprogramme. Wenn diese durch ein Gedankenprogramm ergänzt werden, dann nennen wir es ein Gefühl. Voilà, Ihr Gedankenprogramm macht den Unterschied. Probieren Sie es aus: Ihr Körper wird treffsicher unterscheiden, ob Sie eine stolze oder eine überhebliche Haltung einnehmen.

Kollektiver Stolz braucht eine Zutat beim Einzelnen

Sicher kennen Sie den Begriff „National-Stolz“. Aber haben Sie Worte für die Nummer kleiner? Den „Paar-Stolz“ oder „Team-Stolz“? Oder ist die Nummer größer in Ihrem Wortschatz, der „Welt-Stolz“? Stolz wird ja auch beschrieben als „Zufriedenheit mit sich oder anderen“. Und um diese „anderen“ geht es jetzt: können Sie auf jemanden ganz Fremden stolz sein? Also, ich nicht. Ich kann beeindruckt sein, was Alina kann. Ich kann begeistert sein, was Bert tut. Oder ich kann berührt sein, was Cem bewirkt. Dagegen setzt der Stolz auf andere etwas Besonderes voraus: dass ich diesen Personen verbunden bin. Mit anderen Worten: der 12. Mann im Fußball ist stolz auf seine Mannschaft, während ein Besucher nur eine gute Leistung sieht 😉

Auf individuellen Bühnen kann gemeinsamer Stolz entstehen

So eine Bühne braucht erstaunlich wenig Platz. Auf kleinsten Grasstreifen üben meine wunderbaren Freundinnen Anna und Greta (9 Jahre) und ich gerne Handstand. Wir sagen: „Das war jetzt wirklich gut!“ Oder: „Oh, das war nichts!“ Und: „Zeig mal, wie machst du das?“ Wir lachen viel. Wir zeigen Mitfreude am Gelingen. Und wir zeigen Mitgefühl beim Scheitern. Wir sind stolz auf uns selbst und zugleich Fan der anderen. Diese Momente sind Sinnbild für das, was ich mir für das Lernen in Organisationen wünsche: Gelegenheiten, damit Menschen sich an ihrem Tun, ihren Fortschritten, ihren Ergebnissen freuen können. Eine Kultur, in der das „noch-nicht-Gelingen“ als Teil des Lernprozesses gesehen wird. Orte, an denen individueller Stolz gezeigt werden darf, damit gemeinsamer entstehen kann.

Schaffen Sie Gelegenheiten zum stolz sein!

1. Fragen Sie sich selbst: auf welche Ihrer eigenen Fähigkeiten oder Ergebnisse sind Sie stolz?
2. Stellen Sie Ihren Mitarbeiter*innen dieselbe Frage.
3. Vor allem, wenn Sie keine Antwort erhalten, werden Sie ein Fan. Sagen Sie, was Sie an der Arbeit Ihres Gegenübers beeindruckt, begeistert oder berührt. Kann die Person dies überhaupt nicht teilen, suchen Sie gemeinsam ergänzende oder neuartige Aufgaben.

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